Linienkunst

Grundgedanke

Hokusai, Kraniche

Hokusai, Kraniche

Das Werk eines Meisters der Linienkunst als Einstimmung ...

"Ein Cartoon ist eine Linie, die um eine Idee herum gezeichnet ist."
(nach Bruno Bozzetto)

Hinter jedweder Erscheinungsform der uns umgebenden Welt verbirgt sich eine Idee, ein Muster, das der Künstler auszudrücken sucht. Es sind die Muster des Daseins, des Lebens, der menschlichen Verhaltensweisen.
Man kratzt hier leicht an den "Grundmustern des Daseins" überhaupt, wie sie C.G. Jung etwa in seinen Archetypen oder Platon in seiner "Ideenlehre" erkannt hat.
Somit geht es darum als Zeichner durch eine minimale Anzahl von Linien das Wesentliche einer Sache auszudrücken und als Schriftsteller Ebendieses mit einer minimalen Anzahl treffender Worte zu tun.
Tuschezeichnungen, durch ihre Reduzierung auf Schwarz-Weiß-Kontraste, sind hier hervorragend geeignet.
Wort und Bild sind die den Menschen zur Verfügung stehenden Mittel dieses Wesentliche auszudrücken, so er es zuwege bringt.

Ganz im Sinne von Erich Kästner:

"Der Zeichner ist ein Künstler, er ist mit dem Schriftsteller viel enger verwandt als mit dem Maler. Der Zeichner und der Schriftsteller sind Zwillinge. Die Zeichner sind keine farblosen Maler, sondern Schriftsteller ohne Buchstaben. Ihre Schrift ist anders, jedenfalls beide sind Erzähler. Beide verwenden Stift und Feder. Beide schreiben auf Papier. Der eine bedient sich der Buchstaben, der andere schreibt in Bilderschrift. Er ist der glücklichere Erzähler. Er braucht nicht übersetzt zu werden. Er kann durch Übersetzung nicht entstellt werden. Für den Zeichner gibt es keine fremden Sprachen. Er schreibt in der Muttersprache aller Völker. Er ist ein Bilderschriftsteller."
Viele humoristische Zeichnungen, speziell Cartoons sind relativ komplex, was den Gestaltungsaufwand betrifft, d.h. Figur und Umgebung sind mehr oder weniger detailliert ausgearbeitet und meist koloriert.
Nun frage ich mich schon seit geraumer Zeit, ob dieser Aufwand notwendig ist bzw. ob man eine humoristische Idee nicht mit einer Linie, oder zumindest mit einer minimalen Anzahl an Linien, einfangen kann...

Oft sind ja gerade die schnellen Skizzen ausdrucksstärker, im Sinne von näher an der Idee, als voll ausgearbeitete Bilder - man kann dies z.B. an einigen Tuscheskizzen von Rembrandt sehr schön erkennen. Im Bereich der humoristischen Zeichnung möchte ich hier Bosc, Chaval oder Sempe nennen - allen voran jedoch Saul Steinberg, einen Meister dieser Kunst.

Darüber hinaus bestehen, etwas analytisch betrachtet, diese einfachen Zeichnungen aus ebenso einfachen grafischen Elementen, wie Punkt, Linie, Dreieck, Kreis. Ich sehe hier des weiteren gewisse Entwicklungsstufen oder Entwicklungshöhen einer humoristischen Zeichnung:

(Stufe 1) der Cartoon mit Text
(Stufe 2) der Cartoon ohne Text (eine Kunst, die Mordillo vortrefflich beherrscht)
(Stufe 3) die reduzierte Linienzeichnung (Chaval, Bosc, Sempe)
(Stufe 4) Die maximal reduzierte Linienzeichnung (etwa bei Steinberg, wie auch bei Al Hirschfeld).

Grundsätzlich könnte man die Regel aufstellen: Je reduzierter die Zeichnung, desto stärker kommt die Idee zum Vorschein, desto stärker ist die Ausdruckskraft der Linien.
Der Cartoon mit Text ist hier als unterste Stufe einer Höherentwicklung zu sehen, weil der Text letztlich eine Krücke ist, da das Bild alleine nicht genügend Standfestigkeit in sich trägt und die Idee nicht alleine auszudrücken und zu tragen vermag.
Man könnte noch einen Schritt weiter gehen und sagen, dass jede der Stufen die vorhergehende assimiliert und dann transformiert und vor allem ab Stufe 2 keine Text-Krücken mehr benötigt.

Der Zeichenkurs untersucht die zugrundeliegenden Methoden.
Das folgende Kapitel "Stricheleien und Tuscheleien" zeigt Linienspielereien oder Linienkunst im hier definierten Sinne.

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